Hannes Wader - Charley

Früher lief hier einer rum, es ist schon ziemlich lange her,
einer, der sich Charley nannte, viele wissen's gar nicht mehr
en paar andre, ich bin sicher, die erinnern sich noch gut
an seine Hinterhältigkeit und ihre Angst vor seiner Wut

Manchmal blieb er ein paar Wochen, mal verschwand er für ein Jahr
Salz und Sonne in der Haut und mit ausgeblichnem Haar
War er plötzlich, stark wie immer, nach ´ner Weile wieder hier
G
Für uns Jungs war er der König, für die Alten mehr ein Tier

Alle haben es bemerkt, wie gut sein Blumenhemd ihm stand
Mit Löchern drin, ganz heimlich mit ´ner Kippe reingebrannt
Was aussah, daß fast jeder sie für Einschusslöcher hielt
Und der Sohn vom Apotheker hat sofort danach geschielt
Er kaufte Charleys Hemd zu einem unverschämten Preis
Trug es schmutzig, wie es war, mit samt den Löchern und dem Schweiß
Sicher hat er fest geglaubt, er brauche es nur anzuziehn
Und Charleys Kraft und Schönheit übertrügen sich auf ihn.

Viele Mädchen rissen wegen Charley von zu Hause aus
Er nahm das als selbstverständlich, machte sich nicht viel daraus
Doch nicht nur besonders wilde, freche Mädchen wollten ihn
Sogar brave, graue Mäuse wurden scharf, wo er erschien
Eine sah ich, wie sie mehrmals dicht an ihm vorüberlief
Jedes Mal bei seinem Blick die Schenkel fest zusammenkniff
Später tat, als sei er Luft für sie, weil sie ihn nie bekam
Und sich irgendeinen anderen, den sie kriegen konnte, nahm

Dieses Mädchen, was liegt näher, nahm sich ausgerechnet den,
der die Apotheke erbte, neulich hab ich ihn gesehn
er sah anders aus als früher, als ihm immer, wo er ging
Charleys Fetzenhemd an seinem schlotternden Gerippe hing
Heute knicken seine Beine, ähnlich wie bei einem Schwein
Unter dem Gewicht der Hüften mehr und mehr nach innen ein
Und die Kinder auf der Straße wolln ihn nackig sehn und gern
Seine Knie, wenn er geht, aneinanderklatschen hörn

Hörst du, Charley, was mir dieser Mensch berichtet hat?
Du wärst jetzt auch schon so wie er, so sauber, sanft und satt
Auch dein Name wär' jetzt anders, nicht mehr Charley, sondern Karl
Und alles liefe, wie es sein soll, ruhig und normal
Weißt du, Charley, was du tust, geht mich schon lange nichts mehr an
Nur schade, daß so einer sich mit dir vergleichen kann
Einer der, obwohl er wollte, nie wie du gewesen ist
Soll nicht sagen dürfen, daß du so wie er geworden bist